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Januarloch (13.1.08)

Predigt zu 2. Petr. 1,19b (auf dem Hintergrund von Mt. 2, 9b-15) 13. Januar 2008 – Kirche Gwatt

Liebe Gemeinde, kennen Sie das Januarloch?

Zu Beginn der vergangenen Woche haben wohl manche von uns ihre Weihnachtsdekorationen weggeräumt. An vielen Orten ist es Brauch, den Weihnachtsbaum noch bis zum Dreikönigstag stehen zu lassen. In unserer Familie war das jeweils auch so: Ein letztes Mal wurden an diesem Abend die Lichter am Baum entzündet – und dann – nachdem die Kinder im Bett waren, wurde der Baumschmuck abgeräumt und der Baum in den Garten gestellt. Mit etwas Wehmut empfand ich jeweils die Leere, die in der Stube entstanden war. Doch noch etwas liessen wir jeweils an derjenigen Stelle zurück, an der der Weihnachtsbaum gestanden hatte: Den grossen, graugrünen Stein, der unter dem Baum bei der Krippe gewesen war und darauf legten wir den goldenen Stern, der die Spitze des Baums geschmückt hatte. Er war wie ein Zeichen der göttlichen Verheissung: Der Stern, der den Weg zur Krippe gezeigt hat, geht uns voran in die künftigen Tage. - Und dieser Stern weist auch den Weg hindurch durch die Zeit des Januar-Lochs.
Kennen Sie das Januarloch? habe ich zu Beginn gefragt. Kennen Sie das Januarloch? ich meine diesmal nicht dasjenige im Geldbeutel, sondern dasjenige in unserer Seele, diese Leere, die wir oft schmerzlich empfinden in diesen Tagen. Wie ist sie wohl entstanden?

Da war die Weihnachtszeit: Eine Zeit voller Verheissung, voll göttlicher Zuwendung, voll Licht und Wärme. Da gab es Momente, wo man Kälte und Dunkelheit ringsum vergessen konnte und wo man da und dort Zeichen der Liebe und Wertschätzung weitergeben und auch erhalten durfte. Es war eine Zeit mit vielen (manchmal fast zu vielen) menschlichen Kontakten.
Dann kam die Neujahrszeit – und die Glückwünsche für den Neubeginn rauschten wie ein Goldregen auf uns herab. Glückwünsche sind voller Verheissungen. Wo wir sie ernst nehmen sind sie auch mit Träumen verbunden, mit Hoffnungen und Erwartungen auf das Kommende.

Diese Zeit ist nun vorbei. Es ist wieder stiller geworden um uns herum. Doch tief in der Seele sind manche immer noch von der Frage bewegt: Was wird mir dieses Jahr bringen? Die Bilanz der ersten zwei Wochen ist vielleicht ernüchternd. Erwartungen, die wie Knospen an der Wärme aufgeblüht waren, sind schon gedämpft worden – und die Knospen draussen stehen wieder im Eisregen oder sind von Schnee bedeckt. Wieder ist Winter eingekehrt. Kein Wunder, dass manche Menschen in dieser Zeit das Januar-Loch zu spüren bekommen. Denn nicht nur ihr Geldbeutel, sondern auch ihr Gefühlsleben hat sich verausgabt. Und so fühlen sich manche innerlich und äusserlich leer, oder wie von schwierigen Träumen aufgeschreckt, die den ganzen göttlichen Glanz, der über der Weihnachtszeit lag mit all seinen Verheissungen ganz plötzlich in Frage stellen.

So ging es auch Josef: Ganz aus der Nähe hat er das Wunder miterlebt, wie sich eine wunderbare Knospe entfaltete in diesem Kind in der Krippe. Und nicht nur das Wunder der Geburt hat er miterlebt, sondern er hat auch alles das gehört und in sich aufgenommen, was fremde Menschen an Wunderbarem über dieses Kind sagten: Die Worte der Engel, die die Hirten zur Krippe brachten, vom Retter der Welt, der hier geboren sei. Die Worte der Sterndeuter aus dem Morgenland, die durch tiefe Einsicht in astrologische Zusammenhänge von der grossen Bedeutung und Zukunft dieses Kindes sprachen und etwas davon in ihren symbolischen Geschenken andeuteten. Wer da nicht zu träumen beginnt! Zudem schlummerte in Josef auch die Erinnerung an seinen eigenen Traum zu Beginn von Marias Schwangerschaft: Der Traumengel, der ihm die Weisung gab, Mutter und Kind zu sich nehmen, dem Kind den Namen „Jesus“ zu geben (= was Retter bedeutet). Der Retter der Welt in seiner Wiege! – Ungerechtigkeit, Friedlosigkeit, Leiden, alles sollte ein Ende finden. Endlich sollte alles, was oft so unerträglich finster wirkt, vom neu erwachten Licht überwunden werden.
Und dann ist auf einmal dieser neue Traum da, der ihn aus solchem Träumen abrupt herausholt: Da ist diese glasklare Weisung mitten in der Nacht: Aufstehen! eilends zusammenpacken und fliehen. Das Kind und seine Mutter müssen so rasch als möglich ausser Landes und in Sicherheit gebracht werden, denn das Kind ist in höchster Gefahr. König Herodes will es umbringen. Mit einem Schlag steht alles auf der Kippe. Erst meinten wir noch, im Stall in der Krippe sei ein Licht geboren, das alles Dunkle überwindet. Und schon macht sich die Finsternis gewalttätig auf, um das Licht zum Erlöschen zu bringen. Da gibts nur noch eins – Flucht nach Ägypten!

Das Licht auf der Flucht vor der Finsternis! Scheint dies so etwas wie das Motto für das Januarloch zu sein? Sollen wir unsere Hoffnungen begraben? unsere Wunschträume zurückschicken in die Welt der Illusionen und endlich realistisch erkennen, dass trotz alledem, was an Weihnachten geschehen ist, weiterhin Gewalt und Ungerechtigkeit regiert auf der Welt und dass unser eigenes Leben einem blinden Schicksal ausgeliefert bleibt?

Georg Schmid hat diese Stimmung in die folgenden Worte gefasst:
Nachdem dein Stern in Bethlehem erschienen –  / wo bleibt dein Licht in unserer dunklen Zeit? / Was soll uns eine Weihnachtsbotschaft dienen / als Kunde bloss aus der Vergangenheit?
Der Stern, wollt ich mich seinem Licht zuwenden, / müsst über mir am eignen Himmel stehn, / weil dann das Licht, von dem die Schriften künden, / mir helfen würde, meinen Weg zu sehn.
Nachdem die Boten auf dem Felde sangen / vom Frieden Gottes, er auf Erden gilt, / ist all dies nun vergessen und vergangen / in einer Welt, von Hass und Angst erfüllt? (RG 427, 1-3)

Das Licht auf der Flucht vor der Finsternis – Ist das das Motto für das Januarloch?

Im zweiten Petrusbrief steht ein anderes Motto: Wir lesen hier im 1. Kapitel im V. 19: „Ihr tut gut daran, auf das prophetische Wort zu achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Orte scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“

Das Licht auf der Flucht vor der Finsternis – so will es uns oft scheinen – und doch ist es gerade anders herum wahr, sagt uns der Petrusbrief: Die Finsternis ist auf der Flucht vor dem Licht! Noch ist es Nacht, doch bald wird der Tag anbrechen, unaufhaltsam. Aber gewöhnlich ist die Nacht gerade in den Stunden kurz vor der Morgendämmerung am Kältesten. Und wer schon Nachtwache halten musste, weiss aus eigener Erfahrung, wie diese Stunden am längsten zu dauern scheinen und am Mühsamsten sind, um durchzuhalten.
Die Finsternis auf der Flucht vor dem Licht – gebärdet sie sich deshalb noch einmal so erschreckend gewalttätig:

Das Massaker unter den Knaben in Bethlehem ist wohl ein Zeichen dafür, dass König Herodes spürte, wie seine Zeit abgelaufen war und deshalb so wild um sich schlug. Die Christenverfolgungen im alten Rom waren am Stärksten kurze Zeit bevor das Christentum offiziell vom Staat anerkannt werden musste. Die Hochrüstung in Russland geschah wenige Jahre bevor die Mauer, die unüberwindbar geschienen hatte, plötzlich fiel.

Es gibt Zeiten, wo man den Eindruck gewinnt, jedes Licht müsse fliehen und sich verbergen, um nicht vom eisigen Nachtwind ausgeblasen zu werden - Flucht nach Ägypten - Dies ist eine Realität, die wir kennen. Aber gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, auf das „prophetische Wort“ zu achten, das wir über unser Leben und über die Zukunft unserer Welt gehört haben. Die Friedensbotschaft von Weihnachten, die Verheissungen, die über unserem Leben ausgesprochen worden sind, die Mut machenden Wünsche und Gedanken, die uns zukamen, sie alle sind nicht leeres Stroh, sondern Bett für das göttliche Kind, für das göttliche Licht, das durch Jesus Christus in unsere Welt und in unser Herzen hineingelegt worden ist. Dieses Licht mag zwar manchmal noch klein erscheinen, und doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Finsternis endgültig weichen muss.

„Ihr tut gut daran, auf das prophetische Wort zu achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Orte scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“

Für mich ist eindrücklich, dass hier der „Morgenstern“ erwähnt wird. Der Morgenstern war von jeher Zeichen der Liebesgöttin „Venus“. Bereits von den frühen Christen wurde er mit Christus gleichgesetzt. Der Morgenstern wurde damit zum Symbol für die Kraft der unbesiegbaren Liebe, die Christus gebracht hat und die sich wie der anbrechende Morgen gegen alle Nacht durchsetzen wird.

Doch bis es soweit ist, bleibt in manchen von uns noch die Frage: Weshalb denn immer wieder dieses Aufbäumen der Finsternis? Weshalb wird das Licht der Welt hier für eine bestimmte Zeit doch in die Flucht geschlagen? Weshalb dieser Umweg mit dem Exil der Heiligen Familie in „Ägypten“ und weshalb immer wieder diese scheinbaren Umwege in unserem eigenen Leben? Darauf gibt es keine schnelle Antwort.
Vielleicht kann uns jedoch eine Erfahrung eine Hilfe sein, die sich wie ein feiner goldener Faden durch unser Leben und durch alle Weltgeschichte zieht: Wenn wir einander eindrückliche Erinnerungen erzählen, handeln sie oft von lichtvollen Erfahrungen, die in grosser Dunkelheit gemacht worden sind. Es ist, wie wenn die Dunkelheit dem Licht die nötigen Konturen verleihen würde, um es dadurch desto stärker leuchten zu lassen. Erfahrene Hilfe in aussichtslos scheinender Lage leuchtet viel heller und prägt sich viel tiefer ein, als erfahrene Hilfe in Zeiten, wo eigentlich alles rund läuft.
Die eindrücklichsten Gestalten der Weltgeschichte sind uns oft diejenigen Menschen, die mitten unter der Gewaltherrschaft der Mächtigen mit ihrem ganzen Leben für Gerechtigkeit eingestanden sind, oder die inmitten von Bombentrümmern oder in Elendsgebieten Oasen der Menschlichkeit aufgebaut haben. Denken wir an Dietrich Bonhoeffer, Oskar Romero, Mutter Theresa und viele andere. Die vorherrschende Dunkelheit lässt nicht nur ihr Leben in umso hellerem Licht erscheinen, sondern das selber erfahrene, selber durchgestandene und überwundene Leid macht ein Leben für das Licht viel glaubwürdiger. Weshalb staunen wir, dass die frühen Christen sagten: Das Blut der Märtyrer ist der Same für die Kirche? Immer wieder ist in der Vergangenheit deutlich geworden, dass die Kraft der Liebe gerade in Zeiten grösster Repression sich auf erstaunliche Weise entfaltet hat. Und es gibt viele Beispiele für die Macht der Gewaltlosigkeit, die schliesslich Unrechtsregimes überwand. Nicht nur Gandhi und Martin Luther King sind hier zu erwähnen, sondern auch Nelson Mandela, der auf Grund seines Kampf gegen die Apartheid in Südafrika jahrzehntelang im Gefängnis sass. Dieses Hochsicherheitsgefängnis war sein Ägypten, in dem er ausharren musste, bis seine Zeit endlich gekommen war. Doch diese Wartezeit in „Ägypten“ war für ihn und für Südafrika nicht wertlos, denn gerade dort reifte er zum weisen Staatsmann, der mithelfen konnte, dass die umwälzenden Veränderungen in seinem Land schliesslich doch ohne Blutvergiessen möglich wurden.

Gott führt auf eigenen Wegen zum Licht. Aber er führt zum Licht – in der Weltgeschichte und in unserem persönlichen Leben – dann, wenn die Zeit dafür reif ist. In unserer Schriftlesung wird als Begründung für die Flucht und die Ägyptenzeit der Heiligen Familie ein Prophetenwort von Jesaja zitiert, das in Erfüllung gehen müsse. Es heisst dort: „Aus Ägypten rief ich meinen Sohn.“
Ich verstehe dies so: Gott will als Mensch für uns Menschen glaubwürdig und heilvoll wirken. Deshalb macht er zuerst diese Grunderfahrung des Menschseins ebenfalls durch. Er erscheint unter uns als Licht in seiner verletzbaren und gefährdeten Gestalt; von Geburt an ist er unter dem Druck der Finsternis, ausgeliefert dem möglichen Erlöschen. Er wird Flucht, Fremdheit und Exil am eigenen Leib erfahren – und diese Zeit durchstehen und diese Ungewissheit aushalten, und trotz allem doch immer an den Verheissungsworten festhalten, die bei seiner Geburt erklangen ... Das ist die Grundlage, auf der sich später seine Heiler- und Retterkraft leuchtender und glaubwürdiger und wirkungsvoller entfalten kann.
Liebe Gemeinde, Könnte es sein, dass Januarloch-Erfahrungen in unserem eigenen Leben Ähnliches bewirken möchten? denn auch wir tragen Christi Licht in uns und seine Kraft ist auch in uns am Werk.

„Ihr tut gut daran, auf das prophetische Wort zu achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Orte scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“ Amen.


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