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Zum Tag der Kranken (6.3.05)

Zum Hintergrund: Seit einigen Jahren bietet die Reformierte Kirchgemeinde Thun-Strättligen in der Kirche Allmendingen ein regelmässiges öffentliches Angebot zur "Handauflegung" an. Zwei Mal jährlich finden zudem Segnungsgottesdienste statt, in denen diejenigen Menschen, die den Dienst der Handauflegung ausüben, selber einen Segen mit Salbung erhalten. Im zweiten Teil dieser Segnungsfeier besteht für die Kirchenbesucher ebenfalls die Möglichkeit, einen Segen mit Salbung und / oder eine Handauflegung zu erhalten.
(Ein Artikel im "Bund" vom 22.2.2005 zu dieser Thematik kann hier als PDF eingesehen werden kirchgemeindestraettligen.ch/Downloads/handauflegen.pdf)


Predigt zu Lukas 17, 11-19
(Segnungsfeier Kirche Allmendingen 6. März 2005)


V 11 Und es geschah auf der Wanderung nach Jerusalem, als Jesus längs der Grenze zwischen Samarien und Galiläa hinzog…

Liebe Gemeinde,
Wer krank ist, kommt an Grenzen. Krank sein bedeutet oft eine Grenzwanderung und wenn wir uns hier in diesem Gottesdienst der Heilungsthematik stellen, sind wir uns durchaus bewusst, dass wir uns in einem Grenzbereich befinden. Dies soll uns nicht verunsichern, im Gegenteil: Nur Grenzgänger können Neuland entdecken, nur auf Grenzwanderungen ist der Wind von jenseits der Grenze zu spüren und vor allem: Jesus Christus, der grosse Grenzgänger zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt geht uns voran auf dieser Wanderung im Grenzbereich – und er öffnet uns die Augen, damit wir tiefer sehen können und besser erkennen, was es in diesem Bereich zu erkennen gilt. So zum Beispiel bei dieser Begegnung mit den zehn Aussätzigen:

V 14: „und als er sie sah, sagte er zu ihnen“

Was sieht Jesus?
Auf den ersten Blick sieht er zehn kranke Männer, die vom Aussatz, von der Lepra befallen sind, von dieser unheimlichen Krankheit, die Haut und Nerven angreift, bei der die Haut weiss und spröde wird, die Gliedmassen nach und nach gefühllos, bei der die Menschen nicht mehr spüren, wenn sie sich Stoss- Schürf- oder Brandwunden zuziehen und so immer mehr entstellt werden.
Jesus sieht zehn Menschen, zehn von der Gesellschaft ausgegrenzte und ausgestossene Menschen. Die ansteckende Krankheit Lepra ist zu jener Zeit noch unheilbar. Der Befund „Aussatz“ wird damit zum sozialen Todesurteil. Die Ausgeschlossenen haben fernab von der Dorfgemeinschaft zu leben (oder zu vegetieren) und sind gesetzlich verpflichtet, jeden, der sich ihnen nähern will, mit Rasseln und dem unüberhörbaren Ruf „Unrein, unrein“ zu vertreiben.
Doch Jesus sieht noch mehr: Er sieht Menschen, die mit ihrem Ausschluss von der Dorfgemeinschaft auch vom religiösen Leben ausgeschlossen worden sind, die keinen Zugang mehr haben zur Synagoge, zum Tempel, letztlich keinen Zugang mehr zur göttlichen Lebensquelle, wie die damalige religiöse Gemeinschaft diesen Zugang definierte. Jesus sieht damit nicht nur kranke Menschen, die Heilung bräuchten, sondern Ausgeschlossene, denen der Weg zum Heil verbaut worden ist.
Und Jesus sieht noch tiefer: Er sieht das Unheile mitten im religiösen Heilsbetrieb seiner Zeit. Er nimmt die Grenzen wahr, die Menschen gerade mit religiösen Argumenten gezogen haben: Juden und Samaritaner, die einander wechselseitig misstrauen und beschimpfen, weil beide überzeugt sind, die andere Seite würde den falschen Glauben pflegen. Tiefes Unheil mitten in allen Heilsbemühungen. Menschlicher Streit um die Rechte am Quellwasser, das ja seit alters vom Urgrund her für jeden von uns quillt und uns kostenlos geschenkt ist.
Und durch all dies hindurch, was Jesus hier sieht, dringt der laute Ruf der Aussätzigen, die diesmal nicht schreien, wie es die Vorschrift verlangt: „Unrein, unrein!“ sondern: „Jesus, Meister, erbarme dich unser!“

„Und als er sie sah, sagte er zu ihnen: Gehet und zeiget euch den Priestern! Und es begab sich, während sie hingingen, wurden sie rein.“


Liebe Gemeinde,
So schlicht, so kurz und bündig wird uns hier von diesem Heilungsgeschehen berichtet. Fast etwas enttäuschend. Wir hätten vielleicht das Bedürfnis nach einem gewissen Zeremoniell, zumindest nach einer heilenden Berührung (wie wir sie im zweiten Teil dieser Feier auch anbieten werden), so wie wir es von Jesus ja auch kennen:
Da gibt es doch diese andere Erzählung von der Heilung eines Aussätzigen, wo es heisst: „Da hatte er Erbarmen mit ihm, streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will es, werde rein!“ (Mk. 1,41)  
Oder wieder an einem anderen Ort wird uns im Evangelium berichtet, dass Jesus einen Tauben heilt, indem er ihm einen Finger in die Ohren steckt.
Und von einer Blindenheilung wird beschrieben, dass Jesus gar aus Erde und Speichel einen Brei macht und dem Blinden dieses heilende Pflaster auf die Augen legt.

Ich bin gar nicht unglücklich, dass wir in unserem heutigen Bibelabschnitt nichts dergleichen hören. Wir geraten dann weniger in Gefahr, uns auf unsere eigene „Heilmethode“, wenn ich es mal so nennen darf, zu versteifen, auf unser Setting der Handauflegung, in dem wir eine gewisse Erfahrung gesammelt haben. Allzu schnell werden wir Menschen methodengläubig: Nur Schulmedizin, nur Alternativmedizin, nur Gebetsheilung, nur Geistheilung und dann muss es noch in dieser bestimmten Art und Weise geschehen, wie wir es als heilend erfahren haben.
Die Heilkraft Jesu Christi sprengt alle unsere Grenzen und Schablonen. Gottseidank dürfen wir auf ganz unterschiedliche Art und Weise diese Heilkraft erfahren und sie auch weitergeben. Gott kennt so viele unterschiedliche Wege zur Heilung, mit Berührung und ohne Berührung, mit medizinischer Unterstützung und ohne ärztliche Hilfe…  - Gott kennt so viele unterschiedliche Wege zur Heilung und zum Heil, als es unterschiedliche Menschen gibt.
Bei dieser Begegnung sagt Jesus (diesmal ohne die Aussätzigen zu berühren): „Geht, zeiget euch den Priestern“ (Die Priester waren die damalige ärztliche und soziale Kontrollinstanz) – „ihr sollt nicht länger Ausgegrenzte sein!“

„Und es begab sich, während sie hingingen, wurden sie rein.“


Ende gut, alles gut!?  -  Das Entscheidende geschieht aber nun erst jetzt: Der Evangelist Lukas erzählt:

V 15 „Einer aber von ihnen, der sah, dass er geheilt worden war, kehrte zurück, indem er mit lauter Stimme Gott pries, warf sich aufs Angesicht zu seinen Füssen und danke ihm: und das war ein Samaritaner.“
„Einer aber von ihnen, der sah…“ - Was sieht denn nun der eine Geheilte?
Er sieht an sich gesundgewordene Haut, neues Leben, das durch die Glieder strömt, er sieht, dass er wieder tasten, fühlen, spüren kann. Er sieht, dass alle Verhärtungen verschwunden sind, dass es wieder in ihm strömt, er wieder Anteil hat am Lebensfluss.
Und er sieht neun Menschen, die glücklich in ihre Dörfer zurückgehen , wo sie wieder aufgenommen werden in ihre soziale und religiöse Gemeinschaft – und in dem Moment sieht er noch etwas anderes überdeutlich und dies ist weniger heilvoll: Er sieht, wie die Notgemeinschaft, die sie als zehn Ausgestossene in dieser Grenzregion gebildet haben, zerbricht und ab sofort wieder die alten heillosen Gegensätze gelten: Hie Juden, hie Samaritaner.
Und er erkennt, dass er als Fremder, als sogenannt „Ungläubiger“ seine Heilung ausgerechnet einem jüdischen Heiler verdankt, und er erkennt darin, dass dieser Jesus von Nazareth mehr ist als ein Heiler, mehr als ein Vertreter einer bestimmten medizinischen oder religiösen Richtung. Er erkennt, dass aus diesem Menschen der göttliche Heilquell so rein, so unverfälscht fliesst, dass er nur noch das eine Bedürfnis hat: Umzukehren auf seinem Weg, zurückzukehren zur Quelle. Dort niederzuknien und Gott zu danken.

Und Jesus spricht: „Sind nicht die Zehn rein geworden? wo aber sind die Neun? Haben sich keine gefunden, die zurückgekehrt wären, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?“
Und der Geheilte hört, wie Jesus zu ihm sagt: „Steh auf und geh hin! dein Glaube hat dich gerettet.“
„Steh auf -  Lange genug warst du gekrümmt. Die Heilung will aus dir einen aufrechten Menschen machen.
„Steh auf  und geh hin!“ - Lange genug musstest du um dich selbst und um deine Krankheit kreisen. Geh hin, du darfst wieder ein neues Ziel ins Auge fassen.
„Steh auf und geh hin! dein Glaube hat dich gerettet.“ – Dein Glaube - nicht reformierter Glaube, nicht katholischer Glaube, nicht Glaube an eine bestimmte Heilmethode oder Glaube an  sonst was, sondern: dein Vertrauen, dein inneres Gottvertrauen, das sich als grösser erwiesen hat als alle deine Begrenzungen. Dieses Vertrauen hat dich nicht nur gesund gemacht, sondern dich auch den Weg zurück zur Lebensquelle geführt. Du hast damit noch mehr als Heilung gefunden, dir ist Heil geworden!


„Sind nicht die Zehn rein geworden? wo aber sind die Neun?“

Liebe Gemeinde,
In diesem Gottesdienst sind wir alle eingeladen, zur Lebensquelle zurückzukehren. In dieser Feier kehren auch diejenigen Menschen unter uns, die eine besondere Gabe zur heilenden Berührung empfangen haben, zum Quellort zurück. Indem sie sich selber segnen und salben lassen bezeugen sie: Alle Heilkraft kommt von Gott, wir stellen uns als Kanal zur Verfügung. Wenn durch unseren Dienst der Handauflegung etwas Heilvolles geschieht, ist es die göttliche Kraft, der heilende Geist des auferstandenen Christus, der dies bewirkt.
Aber auch wir anderen sind eingeladen, zur Lebensquelle zurückzukehren, ob wir nun gesund oder krank sind,  ob wir gesund werden oder krank bleiben, die heilvolle Zuwendung des Auferstandenen gilt auch uns. Seine Zuwendung kann in uns Grenzen aufweichen, kann Linderung, kann Heilung schenken. Seine heilvolle Zuwendung kann uns aber auch einen anderen Umgang mit bleibenden Grenzen ermöglichen, kann unsere Geduld und unseren Mut stärken, um innerhalb der Grenzen unserer Krankheit innerlich aufrecht unseren Weg zum Heil weiter zu gehen: „Steh auf und geh hin! dein Glaube hat dich gerettet.“  Amen.

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