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Drei Gongschläge zum Neujahr 2005

Predigt zur Jahreslosung Lk. 22,32 (im Abendmahlsgottesdienst mit Segnung und Salbung) Johanneskirche Thun - 1. Januar 2005

„Christus spricht: ‚Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.’

Liebe Gemeinde, Wenn ich diese Jahreslosung, dieses Christuswort höre, klingen drei Gedanken in mir nach wie die Nachklänge dreier Gongschläge, die mich durchdringen und in mir nachwirken:

1) „Ich habe für dich gebetet“  - Dieser erste Gongschlag bettet mich in einen tiefen ruhigen Klang ein. Er weist mich auf die Wirklichkeit des göttlichen Gebets in uns hin und lädt mich ein, darin zu ruhen.

Die Wirklichkeit des göttlichen Gebets in uns:
Bei Conrad Ferdinand Meyer finden wir das eindrückliche Gedicht vom römischen Brunnen, es ist wie ein Gleichnis für das immerwährende göttliche Gebet, in das wir Menschen eingebettet sind, weil es um uns, in uns und durch uns fliesst:

„Aufsteigt der Strahl und fallend giesst
er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfliesst
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.“

„Ich habe für dich gebetet“ – spricht Christus zu Beginn des Neuen Jahres zu jedem von uns: Was das Jahr uns auch bringen mag an Beglückendem und Bedrückendem – „Ich habe für dich gebetet“. Alles, was kommen mag ist durchwirkt und getragen vom immerwährenden Gebet Christi, das aus der tiefsten göttlichen Quelle strömt, die ganze Welt durchdringt und wieder in den tiefsten göttlichen Abgrund versinkt.
Dieses immerwährende Gebet Christi durchfliesst auch uns: Oft geht es uns wie dem Apostel Paulus im Römerbrief, der erst noch klagt: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt“ und dann plötzlich die Erfahrung macht, dass aus seiner tiefsten Tiefe etwas wie ein tiefer Atemzug aufsteigt, wie ein Seufzen, vielleicht erst noch wie Klage, dann plötzlich wie neues Vertrauen, manchmal gar wie Lob – Paulus erfährt: Nicht ich muss beten - es betet in mir! und er fasst diese Erfahrung in die Worte: „Der Geist kommt unsrer Schwachheit zu Hilfe… der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“(Röm. 8,26)
„Ich habe für dich gebetet“ – spricht Christus zu Beginn des Neuen Jahres zu jedem von uns: Was das Jahr dir auch bringen mag, vergiss es nie: Du darfst immer wieder neu im göttlichen Gebetsstrom ruhen, der wie von selber die Welt und dich  selbst durchfliesst und erhält…


2)  Der zweite Gongschlag, der zweiten Teil unserer Jahreslosung schreckt mich auf. Er scheppert und dröhnt und dringt mir durch Mark und Bein: Wenn Christus sagt: „…dass dein Glaube nicht aufhöre“ – weist mich dies auf die Möglichkeit des Scheiterns hin.

Mein Glaube könnte aufhören, es besteht die Möglichkeit des Scheiterns. Erst noch haben wir Weihnachten gefeiert mit dem Kind in der Krippe, erst noch haben wir zaghaft neu Vertrauen gefasst, dass die göttliche Liebe allen Menschen gilt – und da bricht sie herein, die Flutwelle, reisst Unzählige mit in den Tod und droht auch unser Gottvertrauen in den Abgrund der Sinnlosigkeit zu reissen. „…dass dein Glaube nicht aufhöre.“ – Er könnte aufhören, mein Glaube, angesichts des Unverständlichen, was mir begegnet; sogar dann, wenn ich der eifrigste Jesusjünger wäre, der Wunder über Wunder miterlebt und den Himmel offen gesehen hat wie einst Simon Petrus. Kein Mensch ist gefeit vor dem Scheitern seines Glaubens. Wer fest zu stehen glaubt, sehe zu, dass er nicht falle. Oft wurden die eifrigsten Bekenner in kurzer Zeit zu Verleugnern des Glaubens.
„…dass dein Glaube nicht aufhöre“ – dies sagt Christus zu Simon Petrus in der Nacht vor dessen Verleugnung, in derselben Nacht, in der er sich entschliesst, nun auch selbst seinen frei gewählten Leidensweg der Solidarität mit allen Menschen bis zur bittern Neige zu Ende gehen.
„…dass dein Glaube nicht aufhöre“ – sagt Christus. Hören wir genau hin: Er sagt nicht, dass die Liebe Gottes zu den Menschen einmal aufhören könnte, dies ist undenkbar. Christus bittet, „dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Die göttliche Liebe bleibt, auch wenn die Nacht kommt, gleich wie die Sonne bleibt, wenn wir des Nachts auf einen neuen Morgen hoffen. Aber ob wir wirklich bleiben, ob wir mit der göttlichen Quelle verbunden bleiben, dies steht auf einem anderen Blatt. Wir haben die Möglichkeit, unser Gottvertrauen aufzukünden und die innere Quelle zu verlassen.


3) Und hier erklingt der dritte Gongschlag unserer Jahreslosung: Fest und bestimmt, eine langandauernde Welle von Kraft und Geborgenheit um sich verbreitend: „Christus spricht…“ und dieser Klang weist mich auf das Geheimnis und die Kraft des persönlichen Zuspruchs hin.

Die Kraft des persönlichen Zuspruchs: „Christus spricht…“ – spricht persönlich zum Petrus und zur Petra mitten unter uns hier in dieser Kirche. Gerade weil wir Menschen es immer wieder erleben, dass Wolkenwände die göttliche Sonne verdunkeln, gerade weil wir Menschen die Möglichkeit haben, die lebendige Quelle zu verlassen, um dann halb verdurstend in der Wüste herumzuirren, brauchen wir den persönlichen Zuspruch, der uns aufweckt aus dem Schlummer der Vergesslichkeit, der uns die Augen öffnet für die tiefere Wirklichkeit hinter der scheinbaren Realität. Wir brauchen den persönlichen Zuspruch, der uns neu hinführt zum Lebenswasser.
Die Erinnerung an den göttlichen Zuspruch rettet Petrus nach seinem Scheitern aus der Nacht der Seele: In seiner abgrundtiefen Verzweiflung erinnert er sich an Christi Wort „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Dieses Wort  ist wie eine Brücke aus seinem Tränenmeer zurück zum rettenden Felsen. – Er erfährt sich trotz allem, in allem, durch alles hindurch getragen von der göttlichen Fürbitte.
Und später erinnert er sich auch noch an den Nachsatz, den Christus gleich an dieses Wort angefügt hat: „Und wenn du dereinst umgekehrt bist (zur göttlichen Wirklichkeit), stärke deine Brüder (und deine Schwestern)!“ Was bedeutet: Wenn die Kraft des persönlichen Zuspruchs in dir Wirklichkeit geworden ist, gib diesen Zuspruch weiter.

Liebe Gemeinde,
Dies ist der Grund dafür, dass wir heute nicht nur zum Abendmahl, sondern im Anschluss daran auch zum Empfang eines persönlichen Segens eingeladen sind: Wir dürfen diesen persönlichen Zuspruch, dieses Segenszeichen mit allen Sinnen aufnehmen und in Leib, Seele und Geist wirken lassen. Dies beginnt schon beim Abendmahl mit Brot und Wein, vertieft sich dann aber auch bei der Segnung und Salbung: die Berührung, der Duft des Salböls, die Gebärden, die Worte … alles soll diesen göttlichen Zuspruch in uns verankern, sodass wir zuinnerst gewisst werden: Christus spricht auch zu uns: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ - Und dass wir dann aus dieser Vergewisserung heraus selber Solidarität üben können mit leidenden Mitmenschen nah und fern. Amen.

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