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Auf dem Berg der Verklärung (25.7.04)

Predigt zu Matthäus 17, 1-9 (25. Juli 2004)

Liebe Gemeinde,
Wann standen Sie zum letzten Mal auf dem "Berg der Verklärung"?
Sie meinen, Sie seien nicht bergtüchtig? und Sie seien auch nicht so religiös, dass Sie das Wort "Verklärung" auf eigene Lebenserfahrungen anwenden möchten?
Darf ich trotzdem vermuten, dass auch Sie schon auf dem "Berg der Verklärung" gestanden haben, an diesem symbolischen Ort, wo irdische Begrenzung plötzlich zerfliesst und durchscheinend wird für eine tiefere Wirklichkeit? und darf ich behaupten, dass auch Sie "Verklärungserfahrungen" kennen, innere Berührungen, die Ihr Leben nachhaltig beeinflussen und wandeln? Wie meine ich das?

Unsere Lebenswege verlaufen ja meist nicht gradlinig: da werden plötzlich Weichen umgestellt in unserem Leben, Menschen verhalten sich völlig anders als wir es gerne hätten, Unverständliches begegnet uns...
Vielleicht versuchen wir eine Zeit lang, uns dagegen zu wehren, die Situation zu ändern, das Steuer herumzureissen... und es gelingt nicht, wird nur noch schlimmer - wir drohen zu scheitern...
Bis wir durch irgendwelche Umstände eine Atempause erhalten (sei es durch einige Ferientage, aber auch durch Krankheit oder andere Umstände). Eine solche Zäsur verschafft uns etwas Distanz zu unserem Alltag und gibt uns Zeit, um nachzudenken: Und da kann es geschehen, dass das Unverständliche sich nach und nach zu wandeln beginnt.
Wir können eine solche Erfahrung schlecht beschreiben. Wir können später oft auch nicht recht deuten, was sich dadurch in uns verändert hat. Wir spüren jedoch tief in uns so etwas wie ein neues, starkes, inneres Wissen: Das, was mir so unerträglich scheint, muss ich durchleben. Das Unverständliche, so hart es für mich ist, hat seinen Platz in meinen Leben. Es bleibt nicht völlig sinnlos, sondern muss mir zur Reifung dienen. -  Ist es nicht, wie wenn ein Licht aus einer anderen Dimension durch all dies Schwierige hindurchscheinen würde und ihm nicht nur den letzten Schrecken nimmt, sondern eine Ahnung von tiefem Sinn in uns zurücklässt?
Wenn wir nach solchen Erfahrungen wieder in den Alltag zurückkehren, spüren wir, dass wir dem, was uns so schwer zu schaffen machte, anders begegnen können. Wir kämpfen nicht mehr diesen aussichtslosen Kampf des Don Quichotte gegen die Windmühlen. Trotz Gefühlen bleibender Trauer wächst in uns heilsame Gelassenheit.



Liebe Gemeinde,
Wie ist eine solche Wandlung möglich, und welche Kraft ist darin erfahrbar?
Ich lade Sie ein mit mir etwas tiefer in diese Erzählung einzutauchen, die uns hier im Matthäusevangelium überliefert ist und mitzukommen auf eine längere Bergwanderung:
Der Ausgangspunkt ist wie gewohnt unten im Tal: Die Schar der Jüngerinnen und Jünger zieht mit dem Rabbi Jesus von Nazareth im Land umher. Sie erleben dabei erstaunliche Dinge mit: Da werden Kranke geheilt, Hungrige satt, Gekrümmte richten sich auf, und wer unter dem Joch der römischen Besatzungsmacht seufzt, schöpft Hoffnung auf baldige Befreiung. In diesen Tagen fragt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger: Was sagen die Leute, wer ich sei? und sie geben ihm zur Antwort: Die einen sagen: Du seiest Johannes der Täufer, andere sagen, du seiest Elia oder ein anderer der grossen Propheten. Und Jesus fragt zurück: Und ihr, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus sagt spontan: "Du bist der Christus, der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes." Da blickt Jesus ihm tief in die Augen und sagt zu ihm: "Du kannst dich glücklich schätzen, Simon, Sohn des Jona, niemand aus Fleisch und Blut hat dir dies offenbart, sondern mein Vater im Himmel." Und spricht dann das berühmt gewordene Wort: "Du bist Petrus (d.h. der Fels) und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten des Totenreichs werden nicht fester sein als sie." Merkwürdigerweise gibt er seinen Jüngern strengen Befehl, niemandem etwas davon zu verraten, dass er der Christus, der Messias sei.
In den folgenden Tagen durchleben die Jünger ein Wechselbad von Gefühlen: Denn Jesus erzählt von seiner Zukunft, und er erzählt davon so anders, als alle es erwarten:  Er müsse nach Jerusalem gehen, dort müsse er von den führenden Männern des Volks viel leiden und werde gar von ihnen umgebracht. Jedoch am dritten Tage werde er wieder auferweckt.
Als Petrus dies hört, gerät er in Panik. Mit Händen und Füssen wehrt er sich dagegen, nimmt Jesus beiseite, macht ihm Vorwürfe  und sagt: "Gott möge es verhüten, das dir solches widerfahre." Da dreht sich Jesus jäh um, schaut Petrus scharf an und sagt zu ihm: "Hinweg von mir Satan, Du bist mir ein Fallstrick, denn du sinnst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist."

Welche Gegensätze in diesen Worten Jesu: Erst noch hatte er zu Petrus gesagt: "Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen" - und jetzt dies: "Hinweg von mir, Satan!" Wer sollte dies noch begreifen können!
Jedenfalls Petrus wähnt sich im Nebel: Alles soll anders herauskommen, als er es sich vorgestellt hatte: Jesus, nicht der Führer und Retter des ganzen Volkes, der mit Glanz und Gloria im Tempel in Jerusalem einziehen soll! Jesus nicht der Befreier vom Römerjoch! Ja, wozu haben Petrus und seine Freunde denn ihre Arbeit, ihre Familien, ja ihre Zukunft verlassen, wenn nun alles zunichte gemacht werden soll? Wie sollte man da nicht irre werden!
Doch nach 6 Tagen Trübsal kommt endlich der Tag, an dem Jesus den Petrus und die beiden Brüdern Jakobus und Johannes beiseite nimmt und sie zu einer Bergwanderung einlädt, allein mit ihm. Jesus führt sie in eine einsame Gegend. Es geht bergauf. Petrus war noch nie da. Nach und nach weitet sich der Horizont. Wann hat er zum letzten Mal die verschiedenen Pflanzen am Wegrand bewusst wahrgenommen, wann zum letzten Mal auf das Murmeln des Bächleins und auf die Stimme der Vögel gelauscht? und da, wo die Vegetation karger wird beeindrucken desto mehr die verschiedenen Farben und Formen der Felsen... Schon liegt der See Genezareth weit unter ihnen und immer noch steigen die Männer aufwärts. Sie schreiten schweigend, man hört nur noch das rhythmische Geräusch der Schritte und des Atems dieser vier Bergwanderer. Das Steigen ist anstrengend, aber für Petrus heilsam. Es ist, wie wenn er mit jedem Meter, den er an Höhe gewinnt, mehr und mehr von diesen schweren Gedanken hinter sich zurücklassen könnte, die seine Seele in den vergangenen Tagen so belastet haben. Und als sie schliesslich auf dem Gipfel angelangt sind, ist er wie befreit: Wie ist die Welt so schön!
Aber was ist das? Was ist mit Jesus los? fassungslos starren Petrus und die anderen Jünger ihren Meister an: Sein Gesicht: Es ist, wie wenn eine Verwandlung durch ihn hindurchgehen würde: Sein Gesicht leuchtet auf einmal heller als die Sonne und seine Kleider werden so weiss wie das Licht. Es ist, wie wenn er durchsichtig geworden wäre und man durch ihn hindurch bis in den Himmel schauen könnte. Und da sehen sie zwei Gestalten, die bei Jesus stehen und mit ihm sprechen, so vertraut mit ihm sprechen, wie das nur Freunde können - und auf einmal wissen sie ganz genau: Der Eine ist Mose und der andere Elia, die beiden grossen Menschenführer, die vor langer Zeit auch auf einem Berg von Gott ihren besonderen Auftrag erhielten.

Und da glaubt Petrus plötzlich zu verstehen: Wenn diese beiden grossen Männer des Glaubens sich zu ihrem Meister Jesus stellen, dann ist der Leidensweg, den dieser seinen Jüngern angekündet hat, der richtige Weg. Dann wird Leiden und Kreuz seinen tiefen Sinn haben, denn Gott stellt sich dazu. Und da, wo Gott sich dazustellt, wird alles gut, auch wenn wir Menschen es nicht begreifen, weshalb dies so und nicht anders geschieht. Da wo Gott sich dazustellt, breitet sich Versöhnung aus, Versöhnung mit Gott, Versöhnung mit dem eigenen Schicksal, wie beim grossen Laubhüttenfest, das jedes Jahr gefeiert wird. Und deshalb stammelt Petrus: "Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine."
Petrus glaubt, endlich begriffen zu haben, dass der Auftrag, den Jesus zu erfüllen hat, auf der selben Linie wie Elia und Mose liegt.
Jedoch währenddem er noch redet, geschieht etwas, was zeigt, dass die Jünger noch lange nicht begriffen haben, was es in der Nähe von Jesus alles zu begreifen gibt. In diesem Moment nämlich überschattet eine strahlende Lichtwolke den Berggipfel - und ganz deutlich hören Petrus und die anderen Jünger eine Stimme aus der Wolke: "Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe, höret auf ihn." Das ist zu viel für Petrus und die Jünger. Es wirft sie um, sie liegen am Boden, bergen ihr Gesicht zwischen den Händen und schlottern vor Angst.
Nach einiger Zeit spüren sie auf einmal eine Hand, die sie berührt und sie hören seine Stimme, seine vertraute Stimme: "Steht auf und fürchtet euch nicht!" - Und als die Jünger endlich wagen, ihre Augen zu öffnen, da sehen sie Jesus, nur noch Jesus, ohne besonderen Glanz, ohne Lichtwolke, nur noch Jesus allein.

Es sind dieselben Jünger, die mit Jesus den langen Weg wieder ins Tal hinuntersteigen. Aber tief in jedem von ihnen ist etwas anders geworden. Sie tragen eine Erfahrung mit sich, die niemand mehr auslöschen kann, die Erfahrung der Verklärung, dieser Wandlung alles Bestehenden. Die Erfahrung, dass mitten im Unverständlichen sich so etwas wie ein Fenster zur Ewigkeit öffnen kann, und plötzlich von Gott her der tiefe Sinn dessen aufleuchtet, was vorher unbegreiflich schien.


Liebe Gemeinde,
Ich weiss nicht, wie es Ihnen ergangen ist auf dieser Bergwanderung mit Jesus und den Jüngern, ob Sie sich irgendwo selbst wiedererkannt haben. Ob Sie etwas davon gespürt haben, dass diese Erfahrungen, von denen ich zu Beginn unserer Betrachtung sprach, auch so etwas wie kleine Verklärungserfahrungen sind. Ich bin überzeugt, dass alle diese Erfahrungen einer Ahnung von Sinn mitten im Sinnlosen ihren tiefsten Grund in diesem Geschehen auf dem Berg der Verklärung haben.
Seit der Verklärung Christi ist eine Wandlungskraft in der Welt wirksam, die nichts der endgültigen Erstarrung überlässt. Die Verklärung Christi ist geschehen, um uns Menschen Mut zu machen, sodass wir unseren Schwierigkeiten gegenüber eine neue Haltung einnehmen können: Wir brauchen uns nicht mehr verbissen gegen alles das zu wehren, was nicht so läuft, wie es unseren Vorstellungen entspricht. Wir können entdecken, dass jede Situation durchscheinend werden kann für eine andere, eine göttliche Dimension. Wir lernen eine neue Gelassenheit, lernen, schwierige Situationen, schwierige Menschen, ja sogar die schwierigen Seiten an uns selber, anzunehmen, nicht mit Resignation, sondern mit einem grossen Vertrauen auf die Kraft der Wandlung.
Die göttliche Lichtkraft, die damals vom verklärten Christus ausging ist dieselbe Lebenskraft, die ihn später vom Tod auferweckte. Und diese Licht- Lebens- und Liebekraft wird auch in unserem Leben und in unserer Welt immer wieder neu aufleuchten und sie wird uns nach und nach wandeln bis hin zur Vollendung der Welt. Amen.

Markus Nägeli, Pfarrer

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