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Thun hat gewonnen!

Gedanken zum Sonntag 11. September 2005 in: Homepage Ref. Kirche Thun

Die Bilder gingen durch die Presse: Begeisterte FC Thun-Fans im neuen Stade de Suisse beim unglaublichen Einzug unserer Fussballer in die Champions League - und gleichzeitig die unglaublichen Bilder des Hochwassers in unserer Stadt mit seinen Millionenschäden. Hat Thun in dieser denkwürdigen Augustwoche nun gewonnen oder verloren?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, zumindest heute noch nicht. Die Antwort hängt von vielen Faktoren ab: Nicht nur vom weiteren Torsegen, den wir uns von Gerber, Lustrinelli, und Co. erhoffen, auch nicht vom verbesserten Hochwasserschutz, den viele dringend erwarten. Ein wesentlicher Faktor wird sein, was diese Ereignisse mit uns machen, was sie in uns auslösen, inwiefern sie unsere innere und dann auch unsere äussere Einstellung zum Leben zu verändern vermögen.
Zwei weitere Bilder mögen dies illustrieren: Ein mitternächtlicher Velofahrer fährt von der Kirche Scherzligen, wo er eben die Pumpen kontrolliert hat, durch knietiefes Wasser heim zu. Als er von der Seestrasse in die Karl-Koch-Strasse einbiegt, kommt ihm im Mondlicht eine Schwanenfamilie entgegen geschwommen. Das Ganze wirkt völlig surreal. Die Szene strahlt eine Schönheit aus, die den Velofahrer zuinnerst berührt und ihn trotz seiner Übermüdung in seiner Seele beglückt. Und er realisiert etwas von diesem göttlichen „Frieden, der höher ist als alle Vernunft“, von dem unzählige Menschen immer wieder bezeugt haben, dass er inmitten von Chaos und Katastrophen erfahren werden kann. Diese innere Berührung aus der nächtlichen Stille wirkt wie ein neuer Energieschub, vertreibt Müdigkeit und Fatalismus, gibt wieder Mut zum Anpacken am nächsten Tag.
Dieser nächste Tag bringt den überschwemmten Thunern nicht nur eine neue Arbeitsflut, sondern mittendrin „ein Lächeln trotz der Katastrophe“. Denn die erfolgreichen Spieler des FC verteilen Lunchpakete an die Hochwasser-Helfer und ernten Begeisterung, wie die Tageszeitung berichtet: „Eigentlich ist die Stimmung in Thun gedrückt, die Leute sind angespannt. Trotzdem haben viele plötzlich ein Leuchten in den Augen und ein Lächeln auf den Lippen.“ Es braucht so wenig und bewirkt doch so viel! Das kleine Zeichen der Anteilnahme und der Unterstützung löst nicht nur verkrampfte Gesichtsmuskeln sondern gibt neuen Auftrieb im Kampf gegen den Wasserdruck.
Ähnliche Szenen haben sich in den vergangenen Tagen in unzähligen Variationen hier in Thun abgespielt: Gegenseitige Unterstützung, freundschaftliche Gesten, aufmunternde Worte, Nachbarschaftshilfe. Und da und dort - mitten im Chaos - wurden Momente stiller Schönheit erfahrbar, die sich unserer Seele einprägten und uns deutlich machten: Auch bei uns leuchtet Gottes Regenbogen über der Sintflut. Er fordert uns auf, diese Haltung des Friedens und der Mitmenschlichkeit nicht so schnell wieder fallen zu lassen, trotz allem Kampf, den das Leben mit sich bringt. Wenn Teamgeist und Fairness nicht nur Markenzeichen des FC Thun sind, sondern wenn das Miteinander und Füreinander immer mehr zum Markenzeichen unserer schönen Stadt werden, dann können wir in einigen Jahren mit Überzeugung sagen: Seit dieser letzten Augustwoche 2005 hat Thun wirklich gewonnen.

Markus Nägeli, Pfarrer in Thun-Strättligen




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